Nimrod
Diese Verwirrung um die zwei Kuschen führt nun dazu dass eine Auflistung offensichtlicher Semiten unter Ham angeführt werden:
1 Mose 10:8 "Und Kusch zeugte Nimrod; der war der erste Gewaltige auf der Erde."
1 Mose 10:9 "Er war ein gewaltiger Jäger vor dem HERRN..."
1 Mose 10:10 "Und der Anfang seines Königreiches war Babel und Erech und Akkad und Kalne im Land Schinar."
1 Mose 10:11 "Von diesem Land zog er aus nach Assur und baute Ninive und Rehobot-Ir und Kelach"
1 Mose 10:12 "und Resen zwischen Ninive und Kelach..."
Nimrod ist der einzige Name, der aussieht als würde er eine Person bezeichnen und nicht ein Volk. Wer könnte das sein? Kann man ihn als historische Person ermitteln, oder ist er für immer in der Nebel des Altertums verschwunden?
Falls er eine Person war, wird er als Herrscher des gesamten Euphrat-Tigris-Gebietes beschrieben, denn hier weiß man, dass die Städte sich befunden haben. Zudem nimmt man an, dass das Land Schinar das biblische Word für Sumer ist.
Damit wird Nimrod also zu einem bedeutenden König der Euphrat-Tigris-Region, dessen Macht auf den 4 Städten Babel, Erech, Akkad und Kalne beruht. Wo Kalne liegt, ist unbekannt. Man ist sich heute einig, dass es sich um einen Fehler handelt und gar nicht der Name einer Stadt ist, sonder der hebräische Ausdruck für "sie alle". Es müsste demnach heißen: "Und der Anfang seines Königreiches war Babel, Erech und Akkad, alle im Land Schinar"
Die drei anderen Städte sind bekannt. Erech entspricht der Stadt, die wir als "Uruk" kennen in alten Inschriften aus der Gegend. Die Stadt wurde zuerst in den 1850ern ausgegraben und zeigte alle Merkmale einer ausgedehnten Hauptstadt mit großen Tempeln und einer Bücherei. Sie geht mindestens auf 3600 v. Chr. zurück. Sie lag am Fluss Euphrat etwa 65 km der damaligen Flussmündung. Der Fluss Euphrat hat seinen Lauf danach etwas geändert und die Ruine liegen jetzt mehrere Kilometer östlich vom heutigen Fluss.
Der sagenhafte Gilgamesch (siehe Ararat) war König dieser Stadt und sie wurde auch von einem historischen Eroberer regiert. Das war Lugal-Zaggisi, der König von Erech, der kurz nach 2300 v. Chr. regierte. Er eroberte andere sumerische Stadt-Städte und wurde der erste, von dem wir wissen, dass er ein eigentliches Reich beherrschte. Sein Reich mag bis zum Mittelmeer gereicht haben. Sein Erfolg dauerte allerdings nicht lange, dann es trat ein anderer Eroberer auf, und zwar aus Akkad, der zweiten Stadt, die im Vers genannt wurde.
Akkad lag vermutlich auch bei Euphrat, etwa 225 km flussaufwärts von Erech. Die ganze Gegend um den oberen Lauf von Euphrat, die um Akkad lag, wurde nach dieser Stadt benannt.
Die Akkadier, die hier flussaufwärts wohnten, waren keine Sumerer, obwohl sie die sumerische Kultur annahmen. Die Akkadier sprachen zum Beispiel eine semitische Sprache, während die sumerische Sprache nicht-semitisch war. Sie war möglicherweise mit keiner anderen Sprachen überhaupt verwandt.
Die Akkadier wurden erst von den Sumerern beherrscht, doch etwa 2280 v. Chr. kam ein Mann namens Sharrukin ("gerechter König") zur Macht und machte Akkad zu seiner Hauptstadt. Dieser König ist uns bekannt als Sargon von Akkad. Um etwa 2264 v. Chr. besiegte er Lugal-Zaggisi und gründete das Akkadische Reich. Sargons Enkelsohn, Naram-Sin, erweiterte das Reich noch weiter und in etwa 2180 v. Chr. erreichte es seine größte Ausdehnung.
Doch um 2150 v. Chr., kurz nach Naram-Sins Tod, fielen Barbaren aus den östlichen Bergen in die Euphrat-Tigris-Region ein und machten dem Akkadischen Reich ein Ende. Nach einem Jahrhundert unter Barbarenherrschaft, gewannen die Sumerer ihre Freiheit wieder und erlebten um 2000 v. Chr. eine erneute Glanzzeit. Danach kam die letzte Stadt in diesem Bibelvers ins Spiel.
Die Stadt Babel lag am Fluss Euphrat etwa 65 km flussabwärts von Akkad. Es war seit 1000 Jahren eine kleine und unbedeutende Stadt, während die sumerischen Städte weiter flussabwärts gediehen und das Akkadische Reich sich entwickelte und verschwand.
Während die Sumerer die letzte Glanzzeit erlebten, brachte eine neue Völkergruppe von der Mittleren Euphratgegend Babel um etwa 1900 v. Chr. unter ihre Kontrolle und machten es zur Hauptstadt eines wachsenden Reiches.
Unter dem 6. König der Amoriten, Hammurabi, der um etwa 1700 v. Chr. herrschte, wurde Babel eine Weltstadt und sollte es noch 1000 Jahre verbleiben, obwohl sie öfters erobert und geplündert wurde. Babel war in der Zeit des alten Testaments die Glanzstadt des Ostens überhaupt und ist uns am besten bekannt unter ihren griechischen Namen - Babylon. Man nannte die gesamte Euphrat-Tigris-Gegend Babylonien nach dieser Stadt.
Unter der amoritischen Herrschaft brachen die Sumerer endgültig zusammen und verloren ihre Eigenart, auch wenn ihre Kultur noch lange überlebte und von Eroberer zu Eroberer weiter entwickelt wurde. Die Sprache starb als Verständigungsmittel aus, wurde aber weitere 1500 Jahre in der religiösen Liturgie benutzt und starb nicht aus vor etwa 300 v. Chr.
Die Amoriten bestanden aber nicht lange nach der Glanz Hammurabis. Etwa 1670 v. Chr. fielen die Kassiten oder Kossäer von Osten in Babylonien ein und leiteten eine "dunkle Zeit" ein, die fast 500 Jahre dauern sollte.
Während dieser dunklen Zeit des Südens gewannen die Städte am oberen Lauf des Euphrat an Bedeutung. Wo 1 Mose 10:10 sich nur mit dem Süden Babyloniens befasst, geht es im 10:11 um den Norden.
Assur ist die Gegend um den oberen Lauf des Tigris, heute als Nord-Irak bekannt. Die Stadt Assur (oder Aschur), nach der die Gegend benannt wurde, befand sich am Fluss Tigris etwa 370 km nördlich von Babylon und wurde bereits so früh als 2700 v. Chr. gegründet, möglicherweise von sumerischen Kolonialisten. Assur ist uns besser unter ihrem griechischen Namen bekannt - Assyrien.
Assyrien war Teil des Akkadischen Reichs und später Teil des Amoritischen Reichs. Die assyrischen Einwohner behielten aber ihre Eigenart und erlebten Zeiten erheblichen Wohlstands. Die Hauptstadt des Gebiets wurde von Assur nach anderen Städten weiter flussaufwärts verlegt, erst Kelach (auch "Kalach" oder "Nimrud"), dann Niniveh. (Resen, die in Vers 10:12 genannt wird und zwischen diesen zweien liegen soll, ist nicht bekannt. Das Wort kann natürlich auch etwas anderes als eine Stadt bedeuten.)
Der Wendepunkt in der assyrischen Geschichte kam vermutlich während der Herrschaft von Schalmaneser I (auch "Salmanassar"), etwa 1250 v. Chr. Er ist der vermutete Gründer von Kelach und hat vielleicht die Einführung der Eisenverarbeitung aus Kleinasien miterlebt, wo sie entwickelt worden sein soll.
Die Benutzung von Waffen aus Stahl gibt den Streitkräften einen erheblichen Vorteil gegenüber einem Heer, das nur mit Bronzewaffen ausgerüstet ist. Stahl kann erheblich härter gemacht werden und Stahlklingen sind schärfer und halten sich länger scharf. Schalmanesers Sohn, Tukulti-Ninurta I wurde mit Hilfe seiner mit Stahlwaffen ausgerüsteten Armee der erste erobernde König von Assyrien.
Trotz einiger Rückschläge wurde Assyrien immer stärker, verdrang die Kassiten und erreichte die Herrschaft über ganz Babylonien und darüber hinaus. Zur Zeit als das 1. Buch Mose geschrieben wurde war Assyrien die stärkste Macht, die die Welt jemals gesehen hatte.
Die Verse 10:8-10:12 sind also eine kurze Zusammenfassung von 2500 Jahren Geschichte der Euphrat-Tigris-Gegend, von der Zeit der ersten sumerischen Stadtstaaten durch das Akkadische Reich, das Amoritische Reich zum Assyrischen Reich.
Und wo finden wir dabei Nimrod?
Die biblische Erzählung über ihn ist eine Zusammenfassung der Taten von Lugal-Zaggisi, Sargon von Akkad, Hammurabi und Schalmaneser I (und vielleicht auch Gilgamesch). Der Name Nimrod bezeichnet damit die Größe der Sumerer, Akkadier, Amoriten und Assyrier.
Für die Verfasser des 1. Buches Mose war Assyrien das letzte und wichtigste Reich des Euphrat-Tigris-Gebietes und sein Glanz warf einen Schatten auf alles, was früher gewesen ist. Der erste Eroberer aus Assyrien könnte damit die Ehre nicht nur für Assyrien, sondern auch aller früherer Königreiche bekommen. (Genau wie ein Kind, das einen unklaren Eindruck der jüngsten Geschichte der USA hat, aber immerhin mitbekommen hat, dass George Washington der erste Präsident war, und dann in einem Aufsatz schreiben würde: "George Washington überquerte das atlantische Ozean in 'Mayflower', entdeckte Amerika, eroberte Mexico, gründete Washington D.C. und wurde der erste Präsident der Vereinigten Staaten".)
Der erste Eroberer Assyriens war wie gesagt Tukulti-Ninurta I. Er ist wahrscheinlich die Anregung für die griechische Sage von Ninus gewesen. ("Ninurta" ohne die letzten Buchstaben und mit Zugabe des pflichtmäßigen "-s" wird zu "Ninus".) Nach der griechischen Sage, gründet Ninus alleine Nineveh, erobert ganz Babylonien und Armenien (Urartu) und die östlichen Nomadengegenden und gründet das Assyrische Reich.
Es ist sehr gut möglich, dass eine ähnliche Gestalt zum "Nimrod" der Verfasser des 1. Buches Mose wurde. Das hastig umrissene Bild in diesen Zeilen zeigt auf einen assyrischen König. Assyrische Kunst war kraftvoll und grausam und eins der beliebtesten Motive der Abbildungen war ein assyrischer König auf der Jagt. Und so konnte man Nimrod als einen "mächtigen Jäger" beschreiben.
Übrigens waren die Assyrer die Nachfolger als beherrschende Macht in Babylonien nach den Kassiten (Kusch) und so ist es wohl folgerichtig, Nimrod als "Sohn von Kusch" zu beschreiben.