Ham
Nach dem Ende der Flutgeschichte beschreiben die Verfasser des 1. Buches Mose nun die Nachkommen Noahs. Sie sind fast alle Stammväter von Völkern. Es war üblich für altertümliche Stämme, sich nach einem Stammvater zu nennen, einem wirklichen oder einem sagenhaften. Ein Stammvater, von dem man seinen Namen herleitet ist ein "Eponym", ein "Namensgeber".
Verwandte Stämme stammen von Brüdern, Vätern oder anderen Verwandten des Namensgebers ab. So nannten sich die Griechen "Hellenen" und sahen sich als eine Gruppe verwandte Stämme an, die Aiolier, Dorier, Achaier und Ionier hießen. Alle stammten sie von Hellen ab, von dem es hieß, dass er zwei Söhne hatte, Aiolus und Dorus, und einen dritten Sohn Xuthus, der Zwillinge namens Ion und Achaius hatte.
In diesem Sinne beschreibt das 1. Buch Mose nun die unmittelbare Nachkommen Noahs:
1 Mose 9:18 "Und die Söhne Noahs, die aus der Arche gingen, waren Sem und Ham und Jafet. Und Ham, das ist der Vater Kanaans."
Die drei Söhne Noahs stellen die Einteilung in die drei große Völkergruppen da, die damals bekannt waren.
Die Nachkommen von Sem waren allgemein die Bewohner der arabischen Halbinsel und der benachbarten Gebiete in Norden, darunter auch das Euphrat-Tigris-Gebiet, das im Mittelpunkt des 1. Buches Mose steht. Zu ihnen gehören die Hebräer selbst und sie bekommen die Ehre, vom ältesten Sohn Noahs abzustammen.
Aus diesem Grund nennt man die Sprachen der Völker in dieser Gegend "semitisch". Diese Sprachgruppe umfasst Hebräisch, Assyrisch, Aramäisch und das heute am weitesten verbreitete Arabisch.
Die Nachkommen von Ham werden als Bewohner von den Teilen Afrikas, die in der Nähe von Asien liegen. Aus diesem Grund nennt man die Sprachen, der Völker in dieser Gegend "hamitisch". Dazu gehören Koptisch (das vom altägyptischen stammt), Berbisch und einige äthiopische Sprachen wie Amharisch.
Die Nachkommen von Jafet werden als Bewohner des Nordens und Ostens beschrieben. Man benutzt gelegentlich den Ausdruck "jafetisch" für bestimmte unklare Sprachen in den nördlichen Kaukasusregionen. Es kommt auch vor, dass der Ausdruck mehr allgemein benutzt wird, zum Beispiel um Altpersisch zu beschreiben. Da die Sprache der Perser mit indischen und europäischen Sprachen verwandt ist, kann man auch sagen, dass das vorliegende Buch auf eine jafetische Sprache geschrieben ist. Europa ist allerdings so wichtig (und moderne Philologen so häufig Europäer), dass man statt dieser Bezeichnung heute allgemein die Sprachen "indoeuropäisch" nennen (in Deutschland oft auch "indogermanisch").
Die Verfasser des 1. Buches Mose waren aber nicht von der Sprache beeinflusst. Heutige Ideen der Philologie sind sehr neu. Die biblischen Verfasser sahen eher die politischen Verbindungen und den Abstand auf der Landkarte. Oft war das gleichbedeutend mit Verwandtschaft der Rassen und Sprachen, aber nicht immer.
Ein wichtiges Beispiel ist Kanaan. Die Menschen in diesem Land (Kanaaniten) sprachen eine semitische Sprache als die Hebräer einzogen und hatten eine ähnliche Kultur wie die Euphrat-Tigris-Gegend. Nach heutiger Sichtweise waren sie eindeutig Semiten.
Das 1. Buch Mose stellt aber hier klar fest, dass "Ham der Vater von Kanaan" ist. Dafür gibt es einen einfachen Grund. Etwa 300 Jahre früher war das Land von ägyptischen Heeren erobert worden und es war lange ein Teil des Ägyptischen Reiches. Da Ägypten das wichtigste der hamitischen Länder war, schien es nach derzeitigen Gepflogenheiten vernünftig, Kanaan als Sohn von Ham zu bezeichnen.
Am Ende des 9. Kapitels wird eine Überlieferung erzählt, nach welcher Noah von seinem Sohn Ham gekränkt wird und zu Knechtschaft unter den zwei anderen verurteilt wird. Dieses spiegelt den Umstand wieder, dass die Kanaaniten in der Tat von den Israeliten unterworfen wurden, die ja Nachkommen von Sem waren.
In neuerer Zeit hat man versucht, Ham als Stammvater der Neger zu beschreiben und damit die Sklavenhaltung gerechtfertigt. Das ist der reinste Unsinn. Weder Ham, Kanaan oder irdend welche anderen Nachkommen werden von den biblischen Verfassern als Schwarzafrikaner beschrieben.